Feministinnen und Freundinnen:
Gartenkreuzspinne

Wenn sich die Sonne im Oktober ihren Weg durch den Morgennebel bahnt, ist das nicht nur sehr stimmungsvoll, sondern auch melancholisch. Jetzt ist der Herbst voll da. Zum Glück hat er noch viel zu bieten, Spinnennetze der der Kreuzspinnen zum Beispiel.  Ihre Netze sind so schön und groß wie sonst zu keiner Jahreszeit. Im Efeu, im Gras, zwischen den Stauden, in den Heckensträuchern. Die Netzfäden sind besetzt mit kleinen Tautropfen, wie Perlenschnüre, die im Sonnenlicht funkeln.

In alten Geschichten sind Spinnen weise Frauen, die Weberinnen der Zeit, der Schicksalsfäden. Modern betrachtet, könnte man sie auch als Überfrauen und Übermütter bezeichnen, die erst ihren Mann verspeisen, nachdem der seine Schuldigkeit getan hat, und sich dann aufopferungsvoll um ihren Nachwuchs kümmern. Das tun sie wirklich. Manche Arten wie die Wolfspinnen neigen schon fast zum Helikopterelternsein: Den Kokon mit den Eiern hängen sie nicht einfach irgendwo hin wie viele andere Spinnen. Nein, sie schleppen die dicke weiße Kugel tagein, tagaus mit sich herum. Sind die Kleinen dann geschlüpft, an die hundert Kinderchen können es werden, klammern die sich an Mamas Haaren fest und lassen sich von ihr durchs Leben tragen, bis sie alt genug sind, selbst auf Jagd zu gehen. Kreuzspinnenmuttis lassen sich von ihren frisch geschlüpften Kindern auffressen, damit die so gut wie möglich ins Leben starten. Und das oft sehr schöne Netz ist kein stimmungsvolles Fotomotiv, sondern knallhart als Todesfalle konzipiert. Vielleicht ist das der Grund, warum Spinnen in unseren patriarchalen Zeiten ein so schlechtes Image haben? Wer weiß.

Was stimmt: Spinnen sind sehr giftig. Nicht für uns Menschen, auch wenn der ein oder andere Medienhype etwas anders suggeriert, wie zum Beispiel der um die Nosferatuspinne. Spinnen benutzen ihr Gift als Jagdwaffe, damit lähmen sie die Beute und können sie dann töten und aussaugen. Als Beute zählen für Spinnen je nach Größe Blattläuse bis Heuschrecken. Asseljäger fressen nur Asseln, Krabbenspinnen schnappen sich Bienen und Schwebfliegen, wenn die arglos ihre Wohnblüte zu bestäuben versuchen. Menschen gehören nicht zum Beuteschema von Spinnen, sie werden also auch keine Jagd auf uns machen. Spinnen laufen weg, wenn ein Mensch kommt. Es sei denn, der Mensch treibt die Spinne in die Enge, nimmt sie in die Hand, dann kann es sein, dass sie im äußersten Notfall zubeißt. Oder es versucht. Die menschliche Haut ist zu dick, als dass sie durchkämen, um ihr Gift hineinzuspritzen. Allenfalls Kreuzspinnen oder Wolfsspinnen könnte das gelingen. Die Schmerzen wären vergleichbar wie bei einem Wespenstich. Das gleiche gilt für die Nosferatuspinne, die als wärmeliebende Art in Zeiten des Klimawandels das heimische Spinnenensemble erweitern wird. Oder die Wespenspinnen. Auch die sind wärmeliebend und in den letzten Jahren öfter zu entdecken. Sie sehen aus wie sie heißen und sind deshalb recht auffällig. Die großen Radnetze erst recht. Jede Spinne verziert ihr Netz nämlich mit einer ganz individuell geschwungenen weißen Zickzacklinie. Das machen auch viele andere Spinnenarten auf ganz unterschiedliche Weise,  mal mit kleinen Strichen, mal sind es Kringel oder ganz komplexe Muster. Warum, das ist in der Fachwelt heiß diskutiert. Möglicherweise sollen sie das Netz stabilisieren, deswegen der Name. Oder Vögel abschrecken oder Insekten anlocken; oder dem jeweils anderen Geschlecht wichtige Botschaften zukommen zu lassen. Oder sie dekorieren einfach gern ihr Nest.

Auch ohne Verzierungen haben Spinnen ihre jeweils eigene Technik, Netze zu weben. Baldachinspinnen wölben ihre Werke wie kleine Dächer über Gräser und Kleinsträucher. Die Spinnen selbst sind sehr klein, nur wenige Millimeter, man sieht sie kaum. Es gibt Trichterspinnen, Labyrinthspinnen, Kugelspinnen, die ihre Netze in mehreren locker-fluffigen Decken und Schichten übereinander weben. Viele Spinnen jagen allerdings auch ohne Netz. Springspinnen zum Beispiel. Die haben noch eine andere Technik, der Name deutet es schon an. Sie schleichen sich langsam an ihre Beute – Fliegen, Käfer, Mücken – heran und springen blitzschnell los, mit einem Spinnfaden als Sicherheitsleine, falls mal ein Sprung daneben gehen sollte.

Möchten Sie Spinnen – und Heuschrecken – im Garten fördern, bieten Sie den Tieren Kost und Logis an. Stauden, dichte Kräuter und kleine Sträucher, Steinhaufen und Totholzstücke mit loser Rinde zum Beispiel. Dort finden die verschiedensten Arten versteckte Plätzchen für Wohnhöhlen und Netze und können direkt vor der Haustür auf die Jagd.

Spinnen werden oft auch selbst gejagt. Sie sind ein eiweißhaltiger Leckerbissen. Vor allem für Vögel: Warum den kleinen Küken sperrige Chitinpanzer und splittrige Libellenflügel in den Schlund stopfen, wenn man doch auch eine weiche Spinne reinflutschen lassen kann? Auch Hornissen, Kröten und Spitzmäuse, Igel oder Bilche futtern Spinnen, Fledermäuse pflücken sie im Tiefflug von den Blumen und aus den Netzen.

Spinnen sind keine Insekten, das sei der biologischen Korrektheit halber erwähnt. Sie haben acht Beine, nicht sechs. Spinnen sind aber Insektenfresser. Nach Schätzungen fressen alle Spinnen auf der Welt im Jahr zusammen zwischen 400 und 800 Millionen Tonnen Insekten und andere Kleinsttiere, bei einer einzigen Kreuzspinne von noch nicht mal einem Gramm sind das knapp 20 Gramm Insekten. Hummeln, Bienen, Fliegen, Schwebfliegen, Libellen, Schmetterlinge und Heuschrecken zählen zu ihrer Beute – und Wespen. Rechnen Sie es ruhig mal in Wespen um, die dann weniger stören beim Pflaumenkuchen im Garten. Im nächsten Sommer. Vielleicht werden Spinnen Ihnen dann (noch) sympathischer.