Intersektionelle Pfingstrosen
Zugegeben, der Name intersektionelle Päonien klingt ziemlich technisch und lässt wenig Rückschlüsse auf den Charme und die zahllosen Gartentugenden dieser Pflanzen zu. Er erklärt aber die spannende Herkunft dieses jüngsten Sprosses des alten Pflanzen-Hochadelsgeschlechtes der Päonien. Sehen wir uns den im Wesentlichen zweigeteilten Stammbaum kurz etwas genauer an.
Die zahlreichen Arten der Gattung Paeonia lassen sich grob unterscheiden in zwei Bereiche, so genannte Sektionen: staudenartig und strauchartig wachsende Pfingstrosen. Die Staudenpäonien sind uns seit vielen Generationen vertraut, etwa als Bauernpfingstrose (Paeonia officinalis) und Chinesischer Pfingstrose (Paeonia lactiflora) mit ihren zahlreichen Kreuzungen. Wie es sich für echte Stauden gehört, vergehen ihre Triebe und Blätter im Herbst und die Pflanze überwintert als Wurzelstock um sich im Frühling wieder komplett neu aufzubauen. Dem gegenüber stehen die allesamt aus Asien stammenden Strauch- oder Baumpäonien, deren Triebgerüst auch im Winter erhalten bleibt und sich von Jahr zu Jahr verstärkt. Die Pflanzen treiben, wie etwa Rosen, aus den überirdischen Trieben wieder aus.
Dem japanischen Päonienzüchter Itoh gelang es, in der Mitte des 20. Jahrhunderts eine Paeonia lactiflora-Sorte mit der gelb blühenden Baumpäonienart Paeonia lutea zu kreuzen. Bis dato galt eine solche Züchtung als undurchführbar, und auch heute noch ist es extrem aufwändig, das zu wiederholen. Herr Itoh erregte weltweites Aufsehen mit seinen völlig neuartigen Sorten, die als »Itoh-Päonien« (auch kurz »I-Päonien«) bekannt wurden. Die staudigen Pflanzen wuchsen nämlich kompakt und zeigten gesundes, attraktives Laub. Ihre sehr großen, meist locker gefüllten Blüten ähnelten denen der Baumpäonien und erstrahlten in leuchtenden Gelbnuancen – eine große Sehnsucht von Päonienliebhabern wurde damit vor gut 50 Jahren erstmalig gestillt.
Zwar war der Bann gebrochen und Itoh zeigte, was züchterisch möglich ist – doch die Weiterentwicklung dieser Pfingstrosenlinie dauerte noch weitere Jahrzehnte an. Ein Grund liegt in der schwierigen bis fast unmöglichen Kombinierbarkeit des Erbgutes gerade der Arten aus den unterschiedlichen Sektionen. Ein zweiter Grund liegt im behäbigen Wachstum der Päonien. Sie sind eben nicht nur sehr langlebige Pflanzen im Garten. Auch von der Kreuzung und Aussaat bis zur ersten Blüte nehmen sie sich Jahre Zeit, so dass der Züchter sehr viel Geduld aufbringen muss, bis er überblickt, inwieweit seine Arbeit tatsächlich gefruchtet hat.
Mittlerweile gibt es eine kleine, feine Gruppe solcher Kreuzungen von Stauden- und Baumpäonien. Da auch andere begabte Päonienzüchter tätig wurden, greift die ursprüngliche Bezeichnung »Itoh-Päonien« zu kurz und es bürgerte sich der Name »Intersektionelle Päonien« ein. Die neueren Sorten zeigen ihre Blüten zuverlässig deutlich über dem Laub (frühe Sorten blühten zuweilen unter dem Laub – vermutlich ein Erbteil der Paeonia lutea). Der Flor zieht sich ungewöhnlich lange hin. Da die Knospen nach und nach hervor gebracht werden, steht eine eingewachsene Pflanze gut und gerne vier, bei entsprechender Witterung sogar sechs Wochen lang in Blüte. Eine spektakulär schöne Farbenpalette hat sich mittlerweile heraus kristallisiert. Neben der Spitzensorte 'Bartzella' in sonnigstem, leuchtenden Gelb überzeugen auch Züchtungen mit feinen Farbverläufen, wie 'Callie’s Memory' (cremiges Pfirsichgelb mit rosarotem Anflug) oder 'Kopper Kettle' in schimmernden Messing-Kupfer-Orangetönen – allesamt im neuartigen »warmen« Farbbereich.
Zudem verfügen die Intersektionellen Päonien als echte Stauden über eine ausgezeichnete Winterhärte – schließlich sind ihre Anlagen für den Neutrieb gut in der Erde geschützt. Durch die eher lockere Füllung und feste Substanz der Blütenblätter sind die Blüten regenfest und kippen nur selten ab. Die Wuchshöhe von etwa einem Meter und das tadellose, hübsche Laub tragen dazu bei, dass diese Pflanzen absolute Blickfänge im Garten sind. Ihre Robustheit macht sie zudem selbst für nicht ideale Standorte gut geeignet. Wichtig ist lediglich, dass der Boden nicht staunass, der Platz frei von Wurzel und Triebkonkurrenz anderer Pflanzen ist und die Päonie mindestens einen halben Tag lang Sonnenschein abbekommt.
Zugegeben: der Preis einer Pflanze ist – verglichen mit anderen Stauden – sehr hoch, auch wenn die Entwicklung sich in den vergangenen Jahren deutlich nach unten bewegt hat. Der Preis erklärt sich durch die langsame Vermehrbarkeit dieser noch wirklich raren Sorten. Doch eine gute Pflanzenqualität einer Intersektionellen Päonie ist einen angemessen hohen Preis allemal wert. Sie gewährleistet ein perfektes Anwachsen und meist lassen sich die ersten Blüten bereits in der ersten Frühlingssaison nach dem Pflanzen blicken. Wie alle Päonien sind auch diese Pflanzenjuwelen von legendärer Vitalität – sie halten locker über mehrere Generationen durch und werden immer schöner und blütenreicher.
Als unvergleichliche Blickpunkte stehen sie am besten in der Nähe von Terrassen und Sitzplätzen. Inmitten einer eher flach gehaltenen Begleitpflanzung, etwa mit dunkellaubigen Heuchera, dem zierlichen, kleinen Frauenmantel (Alchemilla erythropoda) oder halbhoch wachsender duftender Pflaumen-Iris (Iris graminea) dürfte sie die gesamte Schönheit ihrer Blüten und ihres Wuchses voll entfalten.
Text von Andreas Barlage