Johanniskraut
Arzneipflanze des Jahres 2015
Der „Studienkreis Entwicklungsgeschichte der Arzneipflanzenkunde“ an der Universität Würzburg hat das Johanniskraut zur Arzneipflanze des Jahres 2015 gewählt. Das Kraut ist traditionell und aktuell von großer Bedeutung, aber es ist auch eine „schwierige“ Arzneipflanze.
„Noch vor 15 Jahren galt das Johanniskraut als die am besten untersuchte Arzneipflanze, dennoch konnten seine Wirkungsmechanismen bislang nicht vollständig geklärt werden“, sagt Dr. Johannes Mayer, Medizinhistoriker und Mitglied im „Studienkreis Entwicklungsgeschichte der Arzneipflanzenkunde“ an der Universität Würzburg.
Die wichtigsten Wirkstoffe des Johanniskrauts sind die rot färbenden Hypericine. Sie werden in speziellen Drüsen gespeichert und sind als dunkelgefärbte Punkte gut auf den Blüten- und Laubblättern der Pflanze zu erkennen. Den Hypericinen wird ein Potenzial gegen Viren ebenso zugeschrieben wie die stimmungsaufhellende Wirkung bei depressiven Verstimmungen. Weiterhin enthält die Pflanze das antibakterielle Hyperforin, entzündungshemmende Flavonoide sowie Gerbstoffe und ätherisches Öl.
Therapeutisch verwendet werden Extrakte und Tees aus den blühenden Triebspitzen. Denn reich an Wirkstoffen sind vor allem die Blütenknospen, die geöffneten Blüten und die noch grünen Fruchtkapseln.
Viele Wirkungen auf den Organismus
Laut Mayer wurden zahlreiche Wirkungen von innerlich angewendeten Johanniskrautextrakten entdeckt. Spezielle Botenstoffe des Nervensystems bleiben länger und in höherer Zahl verfügbar. Auf diesem Prinzip beruht auch die Wirkung klassischer Antidepressiva. Gesteigert wird zudem die nächtliche Ausschüttung des Hormons Melatonin, das an einem gesunden Schlaf-Wach-Rhythmus beteiligt ist. Hypericin erhöht auch die Lichtempfindlichkeit – ein Effekt, der bei sehr hellhäutigen Personen unter Umständen aber zu einer Überempfindlichkeit gegen Licht führen kann.
Die genannten Effekte sind vor allem bei depressiven Verstimmungen therapeutisch interessant. Deshalb wurde Johanniskraut auf Grund von einschlägigen klinischen Studien als Mittel gegen leichte bis mittelschwere depressive Verstimmungen zugelassen, ebenso bei psychovegetativen Störungen, Angstzuständen und nervöser Unruhe. „Ebenfalls sinnvoll ist der Einsatz bei Winterdepressionen, Schlafstörungen wegen leichter Depressionen und bei entsprechenden Symptomen in den Wechseljahren“, heißt es in der Mitteilung des Studienkreises.
Rotes Öl mit interessanten Wirkstoffen
Neben den Johanniskrautextrakten und Tees spielt das Johanniskrautöl – wegen seiner typischen Färbung auch „Rotöl“ genannt – eine große Rolle. Die Flavonoide wie auch das Hypericin darin sollen entzündungshemmend sein, für Hypericin wurden zudem antivirale Effekte nachgewiesen. Der Öl-Inhaltsstoff Hyperforin wirkt antibakteriell, ist aber relativ instabil ist.
Das Johanniskrautöl kann innerlich bei Verdauungsbeschwerden eingesetzt werden, die mit entzündlichen Prozessen einhergehen, wie Magen-Darmschleimhaut-Entzündungen. Äußerlich eignet es sich für die Behandlung und Nachbehandlung von Schnitt- und Schürfwunden sowie bei stumpfen Verletzungen wie Prellungen, Zerrungen, Verstauchungen, Verbrennungen ersten Grades, Sonnenbrand und Muskelschmerzen. Auch bei Nervenschmerzen, Hexenschuss, Ischias, Gürtelrose und rheumatischen Beschwerden sowie Bettnässen wird Johanniskrautöl eingesetzt. Außerdem eignet es sich zur Pflege trockener Haut.
Pflanze mit Zukunftsperspektiven
„Wahrscheinlich wird das Johanniskraut noch weiter von sich reden machen“, meint Dr. Mayer. Spezielle Extrakte daraus würden gegen die Alzheimer-Krankheit getestet, isoliertes Hypericin in der Krebstherapie. Da Hypericin sich an krebsartigen Zellen sammelt, wird es als Indikator und so genannter Photosensibilisator für Krebszellen eingesetzt: „Bei der Bestrahlung mit einem bestimmten Lichtspektrum bildet es aggressive Sauerstoffradikale, die Krebszellen abtöten können“, erklärt der Wissenschaftler. Zudem würden Verfahren getestet, um mit Hypericin hochresistente Bakterien abzutöten.
Johanniskraut in der Kritik
In jüngster Zeit gab es kontroverse Diskussionen über die Arzneipflanze. Der Grund: Ende der 1990er-Jahre wurde festgestellt, dass Johanniskraut das wichtigste arzneimittelabbauende Enzym (CYP 3A4) in seiner Wirkung verstärkt und darum zu einem erhöhten Abbau anderer Arzneistoffe im Körper führt.
So kann es bei der Kombination von Johanniskraut mit mehreren anderen Arzneimitteln einige Zeit nach Therapiebeginn zu starken Wirkungsverlusten kommen, nach dem Absetzen des Johanniskrauts dagegen zu einem therapeutisch gefährlichen Anstieg der anderen Arzneimittel. Deshalb wurden hoch dosierte Johanniskrautpräparate 2003 der Apothekenpflicht unterstellt. Niedrig dosierte Mittel sowie Tee und Rotöl blieben davon ausgenommen.
Hoch dosierte Johanniskrautpräparate mit einer Tagesdosis ab 600 Milligramm haben Wechselwirkungen mit einigen Arzneistoffen aus dem Bereich der Antidepressiva, der Immunsupressiva oder Anti-HIV-Mittel. Ebenso betroffen sind Herzmedikamente wie Digoxin, Blutgerinnungshemmer vom Cumarintyp und vermutlich auch das bronchienerweiternde Mittel Theophyllin. Es sei zudem nicht auszuschließen, dass Johanniskraut auch die Wirksamkeit von hormonellen Verhütungsmitteln beeinträchtigt, wie der Studienkreis schreibt.
Bei der alleinigen Einnahme auch hoch dosierter Johanniskrautmittel dagegen sei die Verträglichkeit gut und sogar erheblich besser als bei anderen Antidepressiva.
Im Mittelalter gegen Melancholie verwendet
Schon in der Antike wurden verschiedene Johanniskrautarten in der Heilkunde verwendet, vor allem bei Brandwunden, Ischias, Harnwegs- und Menstruationsbeschwerden.
Im Mittelalter konzentrierte sich die Anwendung dann auf das Echte Johanniskraut. Im ältesten erhaltenen Dokument der mittelalterlichen Klostermedizin, dem „Lorscher Arzneibuch“ aus dem letzten Jahrzehnt des achten Jahrhunderts, wird das Kraut erstmals zur Behandlung von „Melancholie“ empfohlen, womit eine depressive Verstimmung gemeint sein kann. Daneben galt Johanniskraut auch als Mittel gegen Magenschmerzen und Leberschwäche.
Von der Beliebtheit des Johanniskrauts zeugen die vielen Namen, die von dieser Pflanze überliefert sind: Blutkraut, Frauenkraut, Gartheil, Hartenaue, Herrgottsblut, Jesuswundenkraut, Johannisblut, Johanniswurz, Konradskraut, Mannskraft, Teufelsflucht, Tüpfel-Hartheu, Tüpfel-Johanniskraut, Unserer Frauen Bettstroh, Wundkraut und viele mehr. Der Name Johanniskraut ist darauf zurückzuführen, dass die Pflanze um den St. Johannistag (24. Juni) herum zu blühen beginnt.
Dr. Johannes Gottfried Mayer, Institut für Geschichte der Medizin, Universität Würzburg