Kalmus

Süß und aromatisch-herb rochen die unteren Enden, wenn wir als Kinder Kalmusstängel am Teichrand aus dem Boden zogen. Diese weißen, z. T. leicht rötlichen Wurzelstöcke verlockten sogar zum Essen. Welch ein Duft im Vollfrühling und Frühsommer! Kalmus wuchs in solchen Massen, dass es den Beständen nichts ausmachte, wenn zu Pfingsten große Mengen davon geerntet wurden. Es war Sitte im Spreewald - und wir wohnten nicht weit davon - Kalmus in Stückchen zu schneiden und in die Hausflure zu streuen, als pfingstlichen Willkommensgruß für Gäste...

Merkwürdig und traurig finde ich, dass an den selben Stellen heute kein oder kaum noch Kalmus wächst. Wurde er durch Seggen verdrängt? Hat sich der Nährstoffgehalt der Gewässer verändert? Oder ist der Kalmus zu intensiv genutzt worden?

Kalmus, Acorus calamus, gibt sich nur den Anschein, eine heimische Pflanze zu sein. Die Ähnlichkeit seiner Blätter und der Standort am Wasserrand können manchmal zu Verwechslungen mit der wirklich heimischen Wasseriris führen. Und weil die Ähnlichkeit groß ist, hat jene den botanischen Namen Iris pseudacorus erhalten, was soviel wie „falscher Kalmus“ heißt. Nein, Kalmus wächst wild in Nordamerika und Ostasien. Es heißt, der Leibarzt Kaiser Ferdinand I. Matthiolus habe Kalmus 1560 nach Europa gebracht. Dieser Matthiolus ist übrigens der Namenspatron der Levkoje, der Linné den Gattungsnamen Matthiola gab. Matthiolus wusste von der enormen Heilkraft dieser Pflanze besonders im Magen-Darmbereich.

Der Apotheker Pahlow schreibt in seinem wunderbaren Heilpflanzenbuch, dass wohl kaum eine zweite Pflanze existiert, über deren Heilwirkung man schon so früh und gründlich Bescheid wusste. Bereits im 7. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung ist in Persien diese wichtige Heilpflanze dokumentiert worden. In China, in Indien, in Persien war Kalmus bekannt und wurde medizinisch eingesetzt.

Kalmus ist ein Aronstabgewächs. Das sieht man ihm nicht sofort an. Ihm fehlt das bei den meisten Aronstabgewächsen übliche Hochblatt um und über dem Blütenstand, die s. g. Spalta. Manche Botaniker halten die Blattfortsetzung oberhalb des Blütenkolbens für eine verwandelte Spalta. Übrigens ist es dem Kalmus in Mitteleuropa zu kalt. Die Blüten entwickeln keine reifen Früchte. Kalmus ist also bei uns ganz auf eine vegetative Vermehrung angewiesen. Dieses Phänomen ist auch von Vinca minor bekannt. Das Immergrün blüht zwar wunderschön, bekommt bei uns aber keine reifen Samen. Seine Heimat liegt im mediterranen Raum.

Die zauberhafte und manchmal auch duftende Verwandtschaft

Wirklich heimisch und manchmal flächendeckend kommt bei uns die Sumpfkalla vor, Calla palustris. Vor 60 Jahren zeigte mir mein Vater diese Pflanze an einem einsamen Fischteich. Die Kalla war für ihn und natürlich auch für mich als Kind etwas Besonderes. Vergeblich suchte ich vor ein paar Jahren an der selben Stelle die Kalla. War sie wie der Sonnentau durch Überdüngung umgebracht worden? Aber zwei Teiche weiter Bach aufwärts bot sich dann ein wirklich unerwartetes Bild: Dieser Teich war komplett mit Sumpfkalla zugewachsen!

Auch für die menschliche Nase ist diese Kalla wahrnehmbar, allerdings nicht von der angenehmsten Seite. Der „Gestank“ ihrer Blüten soll fäulnisliebende Insekten anlocken. Und das machen andere Aronstabgewächse ähnlich, z. B. der Gefleckte Aronstab, der bei uns in feuchten Laubwäldern wächst. Weit übertroffen wird der „heimische Gestank“ durch den Aasgeruch von Dracunculus vulgaris, den Schlangenwurz der Ägäis. Dieses Aronstabgewächs besitzt ein dunkel braunrotes Hochblatt, dem man sich nicht zu sehr nähern sollte. Der Geruch ist penetrant. Spätminoische Truhensarkophage sind häufig mit schlangenwurzähnlichen Blüten dekoriert worden. Als ich Ende der 80er Jahre einen altgriechischen Friedhof (Hierapolis) bei Pamukkale in der Türkei durchstreifte, wuchsen zwischen den Sarkophagen nicht nur eine Fülle verschiedener Wolfsmilcharten, sondern auch besagter Schlangenwurz. Und sein Geruch war wie ein Gruß aus dem Hades!

Aber, unter den Aronstabgewächsen gibt es auch ausgesprochen angenehm duftende Arten. Das in Kolumbien und Venezuela heimische Spatiphyllum cannifolium, wird als Warmhaus-Topfpflanze kultiviert. Nicht alle Spatiphyllum-Pflanzen, die im Handel sind, werden duften. Aber vielleicht hat man hin und wieder Glück.