Ist das ein Vorgarten, oder kann das weg?

Text: Angelika Traub
Fotos: Marion Nickig, Angelika Traub

Nein, weder in Wohlfühlmagazinen wie »Landlust« noch in den diversen populären bis elitären Publikumsgartenzeitschriften sind Schotter und die Tendenz zur Grundstücksabgrenzung durch vorgefertigte Betonmauer-Elemente, Gabionen und ähnliche Erfindungen der neuen »Steinzeit« ein Thema. Hier wird die erfreuliche Entwicklung ästhetischer, fantasievoller Gartenwelten gefeiert – von puristisch bis naturnah, immer aber mit dem selbstverständlichen Anspruch, Natur einzubeziehen und mit ihr zu gestalten.
Parallel zu diesen schönen Bildern verbreiten sich die pflanzenbereinigten Vorgärten neuen Typs jedoch erschreckend rasch. Mit ihnen verhält es sich exakt umgekehrt: Erklärtes Ziel ist es, sich der Pflanzen zu entledigen. Wenn überhaupt, wird Grün symbolhaft »inszeniert«. Zurechtgestutzte Gehölze sollen in Unkenntnis der jahrhundertealten chinesischen und japanischen Garten- und Formschnittkunst Assoziationen an fernöstliche Gärten wecken.

Schotter und Abschottung scheinen gut zusammenzupassen, denn die Versteinerung findet zunehmend auch in der Vertikalen statt. Gabionen, aber auch hohe Betonmauern und die an lebensfeindlicher Ausstrahlung nicht zu überbietenden Stabgitterzäune stehen zur Auswahl, letztere können gar mit eingeflochtenen Kunststoffstreifen geordert werden, auf Wunsch mit »schmückendem« Kieselaufdruck, was sie zum absurden Gabionen-Imitat macht. Welch bizarre Potenzierung des Künstlichen!

Spurensuche

Vorgartentristesse ist keine Erfindung der Jetztzeit. Alibi-Koniferen, der obligatorische Rasenstreifen vorm Haus, Cotoneaster-Schrecknis, diese gleichgültigen »irgendwas-muss-halt-gepflanzt-werden-Vorgärten« gab es und gibt es noch. Man sieht sie allerdings inzwischen seltener. Löst vielleicht nur eine Generation, die mit »Grünzeug« nichts anzufangen wusste, die nächste ab? Das mag zutreffen, kann aber Ausmaß und Dynamik dieser Entwicklung nicht erklären. Während die ambitionslosen, aber immerhin noch bepflanzten Vorgärten Ausdruck von nüchternem Pragmatismus und fehlender Gestaltungslust sind, ist in der pflanzenbereinigten Welt des Schotters die zwar unzutreffende aber unermüdlich propagierte Pflegeleichtigkeit immer seltener das ausschließliche Motiv für ihr Entstehen.

Warum aber wollen das, und zwar quer durch die Schichten unserer Gesellschaft, so viele Grundstücksbesitzer?

Einer repräsentativen GfK-Marktforschung zufolge geben 80% aller befragten Schottergartenbesitzer als Hauptmotiv für einen versiegelten Vorgarten Pflegeleichtigkeit an. Besonders Männer (88%) sind der Meinung, dass mit Steinen oder Kies abgedeckte Flächen dauerhafte und leicht zu pflegende Lösungen ohne großen Arbeitsaufwand sind. Beinahe die Hälfte der Befragten (47%) gibt an, dass sie im gepflasterten oder kiesbedeckten Garten einfacher zusätzlichen Stellplatz für Fahrrad, Mülltonne oder Auto schaffen können. Die Schüttung als patente Allzwecklösung.
Aber auch die dramatische Veränderung unserer Lebenswelt ist mitverantwortlich für einen Entfremdungsprozess, der neue ästhetische Normen prägt. So argumentieren in der gleichen Erhebung 57% der Frauen, die einen versiegelten Garten haben, mit Ästhetik. Sie bezeichnen Schottergärten als zeitgemäß und modern.
Die Branche boomt, Baumärkte und Garten(ab)bau-Betriebe halten für dieses lukrative Marktsegment beliebig modifizier- und reproduzierbares »Design« sowie Materialien und Dekoaccessoires aller Preisklassen bereit. Die propagierte Pflegeleichtigkeit ist also längst nicht mehr ausschließliches Motiv. Vielmehr wird zunehmend ein eifriger Gestaltungswille erkennbar, dessen Ergebnis nicht selten stolz präsentiert wird. Der Vorgarten soll keine Erdung mehr haben. Es ist gesellschaftsfähig geworden, sich vom Fürsorge und Aufmerksamkeit einfordernden Grün zu befreien. Ein Heer von »Fachbetrieben« steht dafür bereit, aber Schotterschüttungen lassen sich auch von Ungelernten ausbringen. Das erklärt die rasche virale Ausbreitung.

Ökologie

Die wachsende Zahl der Schotterflächen, von ihren Besitzern gern zwar falsch aber wohlklingend als Stein- oder Kiesgärten bezeichnet, schafft erhebliche Umweltprobleme. Hausgrundstücke sind Teil des ökologischen Systems Landschaft. Behördlich festgelegte »Grundflächenzahlen« benennen im Interesse einer Umweltbalance Mindestgrößen von begrünten Gartenflächen in Wohngebieten. Sie können aber durch die ausufernde Zunahme von meist bodenversiegelten und damit keine Versickerung leistenden Schotterflächen nicht mehr eingehalten werden. Häufig werden trotz Verbot aufgrund des früher oder später zwangsläufig zwischen den Steinen keimenden Aufwuchses glyphosathaltige Gifte eingesetzt, die dann unmittelbar ins Grundwasser und die Kanalisation gelangen. Hinzu kommt der erwiesene negative Einfluss auf das Mikroklima durch fehlende Bepflanzung, denn die Flächen erhitzen sich im Sommer so stark, dass dies nicht nur mess- sondern auch spürbar ist. Auch Lärm und Staub nehmen ohne absorbierende Pflanzen deutlich zu.
Und: Heute müssen Stadtgärten eine neue, zusätzliche Aufgabe leisten. Viele Insekten zieht es in die Städte, denn landwirtschaftliche Monokulturen und Gifte machen ihnen das Überleben immer schwerer. Das mittlerweile auch in den Medien angekommene dramatische Artensterben von Bestäubern wie Schmetterlingen, Kultur- und Wildbienen und vielen anderen Arten hat längst bedrohliche Ausmaße angenommen. Stadtgärten sind für etliche Insekten das letzte Refugium. Forderungen nach Sanktionen werden nun auch von behördlicher Seite lauter. Unsere niederländischen Nachbarn sind da schon einen Schritt weiter. Auch dort rollt zwar die »Steinlawine«, aber für die Umwandlung von Grünland in versiegelte Steinschüttungen werden nun Steuern erhoben.

Vorgarten der Zukunft?

Immerhin sind laut der eingangs zitierten GfK-Erhebung noch 84% der deutschen Vorgärten begrünt und bepflanzt. Nur sechs Prozent der Schotterflächenbesitzer geben an, dass ihnen ein grüner Vorgarten nicht gefällt. Das lässt darauf schließen, dass auch mangelndes Wissen und daraus resultierende Hilflosigkeit im Blick auf pflanzliche Gestaltungsmöglichkeiten Motiv für die »ein-für-allemal«-Endlösung der Schotterschüttung ist.
Es stimmt hoffnungsvoll, dass der Bundesverband Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau e.V. (BGL) mit der Initiative »Rettet den Vorgarten« aktiv wird und damit auch seine Mitglieder erreicht.
Der Umgang mit Pflanzen bedeutet Empathie statt Objektbezug, er ist ein lebendiger Prozess und fragt nicht nach pragmatischer Sorglosigkeit. Das besorgt sein um die Pflanzen vor der Haustür ist uns nicht lästige Pflicht, sondern ein gartenkulturelles Bekenntnis und Sorgen für gesunde Natur. Ein mit schönen Vorgärten begrenzter Straßenzug, am liebsten ohne uneinsehbare Heckenbarriere, Zaun und Mauer, ist Indikator für hohe Lebensqualität. Hin und wieder begegnet man solchen »grenzenlosen« Vorgärten, die ineinanderfließen und sich in der Bepflanzung »gut verstehen«. Das sind neue Boten nachbarschaftlicher Sympathie. Solche »Entgrenzung« setzt allerdings gegenseitiges Vertrauen voraus. Aus anonymer Unverbindlichkeit entsteht kein Miteinander. Nachbarschaftliche Offenheit macht den Vorgarten zum Ort der Begegnung, einem einladenden, »durchlässigen« Begrüßungsraum an der Grenze zum Privaten. Gemeinsame Projekte können entstehen. Warum sollte man nicht dem betagten Nachbarn anbieten, bei der Pflege seines Vorgartens zu helfen? Warum nicht dem berufstätigen Paar, das zwischen Kita und Job hin- und her hetzt, eine Gartenkooperation anbieten?
Der Vorgarten ist ein für alle wahrnehmbarer öffentlicher Raum. Wenn statt anonymer Parallelwelten mit hermetisch abgegrenzten, versteinerten Parzellen in einer Straße soziales Miteinander wieder be- und gelebt wird, gewinnen auch Vorgärten neue Bedeutung und Gestalt. Dialog und Mithilfe könnte mancher »Entsorgung« vorbeugen. Schottergartenprävention als Teil gelebter Gartenkultur.

Angelika Traub
Aus dem Forsthaus | Angelika Traub betreut Redaktion und Lektorat unseres Gartenmagazins. Sie lebt und gärtnert am Rande des Sollings. Im großen Landschaftsgarten mit seinen weitläufigen Staudenpflanzungen und vielen besonderen Gehölzen kann sie...
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Fotos: Marion Nickig, Angelika Traub