Schöne Augen mit der Schwindelkirsche
Text: Antje Peters-Reimann
Fotos Quelle: Wikimedia Commons, Public Domain
Schon der Gattungsname der Schwarzen Tollkirsche (Atropa belladonna), der Giftpflanze des Jahres 2020, führt uns ins Reich wundersamer Geschichten. Atropos war die Schicksalsgöttin der alten Griechen, deren Aufgabe es war, den so genannten »Lebensfaden« eines Menschen zu zerschneiden, wenn dessen Leben an sein Ende gelangt war. Und in der Tat: Wer zu viel vom Wirkstoff der Pflanze mit dem Namen der Schicksalsgöttin zu sich nimmt, muss dies mit dem Leben bezahlen, denn sämtliche Pflanzenbestandteile sind stark giftig. Schon Kleopatra hatte vor der Tollkirsche gehörigen Respekt. Als sie den Plan fasste, ihr Leben zu beenden, erwog sie zunächst Tollkirschensaft als Mittel der Wahl, zwang jedoch zuvor einen Sklaven, den Saft einzunehmen, um die Wirksamkeit zu überprüfen. Nachdem dieser jedoch einen langsamen, äußerst qualvollen Tod gestorben war, nahm die schöne Ägypterin von der Tollkirsche als Todestrank Abstand und soll dann mittels des Bisses einer Kobra aus dem Leben geschieden sein.
Doch wie so häufig im Reich der Giftpflanzen, gilt auch für die Tollkirsche: Die Dosis macht das Gift! Die ersten Anzeichen der Vergiftung sind geweitete Pupillen. Genau dieses Phänomen machten sich Frauen schon seit Urzeiten zunutze, wenn sie sich den Extrakt der Pflanze in die Augen träufelten – galten doch die sich auf diese Weise einstellenden dunklen Augen als Schönheitsideal einer »bella donna«, einer schönen Frau. Und so gelangte die Tollkirsche zum zweiten Bestandteil ihres botanischen Namens. Schon in den Kräuterbüchern des 16. Jahrhunderts ist von diesem verschönernden Nebeneffekt der Pflanze zu lesen.
Doch das Nachtschattengewächs hatte auch noch ein ganz anderes »Einsatzgebiet«. Einige der Volksnamen der Pflanze, sie ist auch als Teufelsbinde oder Teufelskraut bekannt, weisen darauf hin. Denn Atropin, der Wirkstoff der Tollkirsche, war eines der wichtigsten Ingredienzien der Hexenküche. Mit seiner Hilfe und unter Zufügen weiterer Substanzen brauten Hexen und Zauberer so genannte »Flugsalben«. Auf die Haut aufgebracht, sollten sie es ermöglichen, sich in die Lüfte zu erheben und so zum Beispiel zum Hexentanz auf den Blocksberg zu fliegen. Natürlich blieb der Anwender der Salbe in Wirklichkeit am Boden, hatte lediglich durch den sich allmählich einstellenden Wirkstoff der Tollkirsche den irrigen Eindruck, tatsächlich zu fliegen. Sogar Schwindelzustände stellten sich beim Einnehmen des Giftes ein, weshalb man die Tollkirschenfrüchte als »Schwindelkirschen« bezeichnete
Und auch im Volksbrauchtum war die Tollkirsche fest verwurzelt. Aus der Bukowina wird von ihr zum Beispiel im Zusammenhang mit Liebeszaubern berichtet: Wenn sich dort ein Mädchen der Zuneigung eines jungen Mannes versichern und beim Tanzen seine Herzensdame sein wollte, gab es ein bestimmtes Ritual: Das Mädchen sollte gemeinsam mit seiner Mutter an einem Sonntag der Karnevalszeit im schönsten Sonntagsgewand hinaus auf die Felder gehen. Dort musste es die Wurzel einer Tollkirsche ausgraben und an dieser Stelle ein Leinensäckchen mit Branntwein, Salz und Brot hinterlassen. Auf dem Rückweg sollte das Mädchen die frisch ausgegrabene Wurzel auf dem Kopf tragen. Und wenn es alles richtig gemacht hatte, dann war es beim nächsten Tanz ganz gewiss die erste Wahl des betreffenden jungen Mannes!
Wer heutzutage zum Augenarzt geht, macht gelegentlich die Bekanntschaft mit dem Wirkstoff der Tollkirsche, denn Atropin wird bei Untersuchungen eingesetzt, bei denen eine temporäre Erweiterung der Pupille vonnöten ist. So kann man noch heute in den zweifelhaften Genuss des »Belladonna-Effektes« kommen, denn der Preis für die kurzzeitige Pupillenerweiterung ist eine extreme Lichtempfindlichkeit. Und die kurzzeitig so schön erweiterten Pupillen sieht dann leider nur der Augenarzt!
Text: Antje Peters-Reimann
Fotos Quelle: Wikimedia Commons, Public Domain