Herr des Saatguts und Fleurops Vater
Fotos: N.L. Chrestensen Erfurter Samen- und Pflanzenzucht
Antje Peters-Reimann
Er war das, was man heute wahrscheinlich salopp als einen »Macher« bezeichnen würde: Niels Lund Chrestensen, der am 8. Juni 1840 in Dänemark das Licht der Welt erblickte, war wohl ein Mensch, der sich nicht mit schwierigen Situationen abfinden wollte, wenn es Mittel und Wege gab, sie zu verbessern. Weil seine dänische Heimat ihm keine guten Zukunftsmöglichkeiten als Gärtner versprach, siedelte er kurzerhand nach Deutschland um. Dort sollte er Gründer eines Unternehmens werden, das noch heute als eines der führenden in Sachen Saatgutgewinnung und -handel gilt.
Doch der Reihe nach! Es zog den umtriebigen Dänen nach Erfurt, das damals zu den wichtigsten Zentren des Gartenbaus zählte. Schnell machte der junge Mann als Gärtner bei der Firma Born durch seine ausgefallenen Blumengebinde von sich reden. Nach seiner Einbürgerung eröffnete er im Sommer 1867 sein erstes eigenes Ladengeschäft. Doch es reichte dem Gärtner nicht, Gräser, Farne, Immortellen, Ziergehölze und Schnittblumen zu kunstvollen Gestecken, Sträußen und Kränzen zu verarbeiten. Er entwickelte auch bekannte Verfahren zur Haltbarmachung von frischen Blumen weiter und suchte nach neuen Wegen, um Gräser und Farne zu färben. Rasch verbreitete sich Chrestensens Ruf über die Grenzen der Region hinaus, so dass er zum Hoflieferanten der österreich-ungarischen Monarchie ernannt wurde. 1883 wurde ihm die Ehre zuteil, die Feierlichkeiten zur silbernen Hochzeit des deutschen Kronprinzenpaares auszustatten. Im gleichen Jahr stieg Chrestensen auch in die Jungpflanzenproduktion ein, um Samen und Frischblumen zu gewinnen und erwarb zu diesem Zweck ein Grundstück, auf dem er eine Gärtnerei aufbaute. Zudem wurde ein Cotillon-Handel eingerichtet, also ein Vertrieb von Girlanden, Papierblumen und Lampions zu Dekorationszwecken, um sich ein weiteres Standbein zu verschaffen.
Auch für technische Neuerungen war Niels Lund Chrestensen immer zu haben, und so war die erste Fernsprechverbindung in Erfurt diejenige, die das Geschäft mit der Gärtnerei verband! Chrestensen war aber gleichzeitig stets bestrebt, sein eigenes Fachwissen auszubauen, was er unter anderem als Gasthörer der Universität Berlin-Dahlem tat. Um seinen Kunden darüber hinaus ständig Neuheiten anbieten zu können, bereiste der Gärtner zum Botanisieren die verschiedensten Gegenden der Welt und suchte sich dann vor Ort geeignete Partner, die für ihn sammelten, trockneten und ihre »Beute« nach Erfurt lieferten. Auch beteiligte sich Chrestensen regelmäßig an nationalen und internationalen Ausstellungen und erzielte viele Auszeichnungen, darunter bei der Weltausstellung in Chicago 1893 die begehrte »Große Columbus-Medaille«. Als Preisrichter auf internationalen Gartenbauausstellungen war der Erfurter immer gern gesehen.
Speziell für den englischen Markt entwickelte der Erfurter sogenannte »Firescreens«, Trockengebinde im Rahmen, die sommers in die dunklen Kaminlöcher gestellt werden konnten. Doch auch um sein Personal kümmerte sich der Chef. Als Belohnung für die Angestellten in der Binderei gab es Apfelsinen, und ein Leierkastenmann spielte zur Unterhaltung während der Arbeit. Eine der Grundlagen für den Erfolg des Erfurter Unternehmers war seine Gabe, den persönlichen Kontakt zu hochrangiger Kundschaft zu pflegen und deren Vertrauen zu erringen und zu bewahren. Sein Wissen im Feld- und Gartenbau gab er mit dem Buch »Chrestensens’s illustriertes Handbuch für Feld- und Gartenbau« an seine Kunden weiter. Und um seiner englischen Kundschaft nahe zu sein, gründete er 1899 sogar eine Dependance in der britischen Hauptstadt! Daneben war es dem Gärtner ein wichtiges Anliegen, den Wünschen seiner Kundschaft nach neuen Blumen- und Gemüsesorten zu entsprechen und setzte dafür – neben eigenen Züchtungen – auch auf solche anderer Unternehmen aus dem In- und Ausland.
1908 startete Chrestensen zusammen mit dem Berliner Gärtnermeister Hübner den Test für eine neue, bahnbrechende Art des Blumenversands: Nicht mehr die Blumen selbst, sondern nur noch die Informationen über die Bestellung wie Blumensorte, Anzahl, Qualität und Preis wurden versandt. Das jeweilige Blumengeschäft vor Ort als Empfänger der Informationen besorgte dann die gewünschten Blumen und lieferte sie umgehend aus: Fleurop war geboren! Am 21. Januar 1914 verstarb Niels Lund Chrestensen und hinterließ seinen Nachkommen ein gut funktionierendes Unternehmen. In fünfter Generation bietet »N.L. Chrestensen Erfurter Samen- und Pflanzenzucht« seinen Kunden heute über 1000 verschiedene Pflanzenarten und -sorten, darunter mehr als 200 eigene Züchtungen und baut auf über 2600 Hektar Vermehrungsfläche und 10.000 Quadratmeter Glasfläche Pflanzen zur Samengewinnung an. Und auch im 21. Jahrhundert ist im Erfurter Borntal den Erben Niels Lund Chrestensens die Neu- und Erhaltungszucht von gartenbaulichem Saat- und Pflanzgut ein großes Anliegen!
Blüte und Samen
Es erfreuet die Blume, die blühnde, den Menschen;
Im Herbste jedoch entblättert der Wind
Die schönen süßduftenden Blüten,
Über Wiesen und Äcker entführt er den Samen.
Du grollst der Natur, die so nun zerstört,
Was erst sie zur Freud’ dir geschaffen. —
Weshalb aber grollst du? Denn siehe, im Frühling
Entstehen aus dem zerstobenen Samen
Dann neuerdings Blumen in vielfältiger Pracht.Und wie mit den Blumen, so geht es im Leben
Mit der menschlichen Tat: auch sie oft mißrät;
Doch fasse nur Mut, sie ist oft der Samen
Zu andren ersprießlichen Taten.
(Demetrius Schrutz, 1881)
Fotos: N.L. Chrestensen Erfurter Samen- und Pflanzenzucht
Antje Peters-Reimann