Glück aus der Tüte
Text: Andreas Barlage
Fotos: Andreas Barlage und Staudengärtnerei Gaißmayer
Jedes Jahr im Frühling löse ich ein Versprechen ein. Ein Versprechen, das ich mir selbst gegeben habe. Und zwar in Form von in einer Schublade liegenden Saatgut-Tütchen, die ich mir im Laufe des Winters und des frühen Frühlings angeschafft hatte, um einen blumenreichen Sommer zu erleben. Manchmal muss ich mir, wenn ich zur Tat schreiten will, allerdings selber dafür einen Termin setzen, um den richtigen Zeitpunkt dafür nicht zu verdrabbeln, denn zu spät ausgesäte Pflanzen kommen auch erst spät in Blüte.
Mein liebster Aussaatzeitpunkt ist die Monatswende März/April. Erfahrungsgemäß wachsen die Sämlinge dann innerhalb etwa eines Monats heran und ich kann den Mai abpassen, um sie im Freien vor der endgültigen Pflanzung etwas abzuhärten – und gleichzeitig sind sie noch nicht so groß, dass es Stauprobleme machen würde, wenn sie aufgrund von Frostgefahr noch einmal (oder zweimal, oder dreimal... ) wieder ins Zimmer geräumt werden müssen. Genau genommen ins Arbeitszimmer. Das ist das einzige mit Oberlicht und das kontrolliert werden kann: Hier dürfen unsere stets neugierigen Katzen Minnie und Frida nur hinein, wenn ich am Schreibtisch sitze, sonst ist es für sie tabu. Das ist von entscheidender Bedeutung, denn alle anderen Pflanzen, selbst die robusten Grünlilien im Wohnzimmer, haben die beiden Racker längst zerlegt ... lediglich die dort im Frühling blühende, stattlich-erhabene Strelitzie (die als Wintergast auch sehnlichst aufs Freie wartet), ist hinreichend sicher vor Katzenattacken.
... ich schweife ab ...
Am liebsten führe ich die Aussaat-Aktion in einem Zug durch und achte darauf, nur Arten und Sorten auszuwählen, die nicht allzu große Umstände machen. Angesichts der begrenzten Möglichkeiten meiner Dachterrasse wären mir Pflanzen mit langer Vorkulturzeit oder engen Temperaturbedürfnissen zu heikel. Da ich ein zwar leidenschaftlicher aber auch ausgesprochen fauler Gärtner bin, sehe ich zu, Saatgut zu bestellen, dessen Körner so groß sind, dass sie einzeln oder in kleinen Tuffs in sogenannte Anzuchtplatten ausgesät werden kann und nicht in Saatschalen, die ein Pikieren erforderlich machen. Sollte ich mal keine solchen Packs zur Verfügung haben, gehen auch Eierkartons – und bei Tomaten und Chilis nehme ich meist gleich einen kleinen Topf.
Diese auf Praktikabilität ausgerichtete Kalkulation lässt glücklicherweise ausreichend Auswahl und beinhaltet sogar meine Lieblingspflanzen – etwa niedrig wachsende Löwenmäulchen (na gut, ist in der Samengröße grenzwertig), einfach blühende Tagetes, ein paar Wicken, Kapuzinerkresse sowie niedrige Ringelblumen und Kosmeen... und selbstverständlich Chilis und Tomaten (die ich aber schon im Februar aussäe... denn sie sind ziemlich langstiefelig). Die Blüten all dieser Pflanzen werden später gern von Insekten beflogen.
Hätte ich mehr Platz zum Stellen, würde ich bestimmt auch meine anderen Lieblingspflanzen selbst anziehen, aber es kommt nicht in Frage, Frida und Minnie nur den Flur und das Schlafzimmer als Aktionsradius anzubieten – was meinen Sie, was dann bei uns los wäre... Darum landen Prunkwinde (Ipomoea), Spinnenblumen (Cleome spinosa), die sich ebenfalls als Insektenmagnet erwiesen hat, oder Nemesien (Nemesia), die überraschend lange durchblühen, Ende April im Einkaufskörbchen, dass ich durch eine Gärtnerei zur Kasse trage... und gewiss finden sich außerdem noch Schwarzäugige Susanne (Thunbergia alata), Mehlsalbei (Salvia farinacea), Heliotrop (Heliotropium) oder Gazanien (Gazania splendens) darin... ich kann ja allem widerstehen, nur nicht der Versuchung durch Pflanzen (oder gutem Wein... oder Kartoffelbrei, Spinat und Spiegelei .. oder Lakritzschnecken...).
Ausgesät wird selbstverständlich in spezielle Aussaaterde, die keine Nährstoffe enthält. Sollten Pflanzen in den Packs oder Töpfen zu groß werden, setze ich sie zähneknirschend in größere Töpfe mit üblicher Blumenerde oder – wenn es sich nur um wenige Tage handelt, bis sie gepflanzt werden – verabreiche ich Flüssigdünger; allerdings maximal die halbe Dosierung, die auf der Flasche angegeben ist. Direkt nach dem Ausbringen der Saatkörner und sanftem Wässern mit einer Spritzballdüse (einer meiner liebsten Werkzeugschätze) decke ich alle beschrifteten Packs und Töpfe mit Klarsichthauben oder aufgespannten transparenten Plastiktüten ab und stelle sie in die Nähe der Heizung. Die meisten Arten keimen am besten bei Temperaturen um 20°C. Sowie der Keimling sich streckt, und spätestens, wenn er sich anschickt, über den Keimblättern ein erstes arttypisches Blatt wachsen zu lassen, stelle ich ihn unter das stets offene Fenster. Hier ist es heller und etwas kühler, da es nur bei Frost geschlossen wird. Die Abdeckungen lasse ich nun weg und passe auf, dass ich angemessen gieße. So werden die kleinen Pflanzen nicht schütter, sondern erstarken.
Geht alles gut, habe ich zur Pflanzzeit meist sehr viel mehr hoffnungsfrohe Jungpflanzen, als ich selbst beim besten Willen und unter Aktivieren auch der letzten herumliegenden Gefäße auf meiner Dachterrasse unterbringen kann. Ich säe sowieso immer auf Vorrat aus (... naja, ist irgendwie (m)ein Muster: Wenn ich etwa für zwei Personen koche, können grundsätzlich auch vier weitere satt werden... ich verabscheue es, auf Kante zu planen), denn meist zeigt sich erst im April oder Mai, ob oder in welchem Ausmaß Winterfröste und -nässe Pflanzen zerstört haben. Da ist es gut, etwas in der Hinterhand zu haben, um Lücken zu füllen. Doch bisher hatte ich jedes Jahr trotzdem viel mehr Pflanzen übrig als ich brauchte. Letztes und vorletztes Jahr etwa wollten wir uns partout nicht von einem gewissen Überfluss an verschiedenen Chilis trennen – mit dem Resultat, dass nun ein halber Küchenhängeschrank mit getrockneten, gemörserten Chili-Schoten belegt ist. Wir könnten damit handeln und dem liebenswerten Chili-König Rudi Kerschbamer aus Südtirol ein klitzekleinwenig Konkurrenz machen.
Aber Handeln kommt nicht in Frage – nicht mit der Chili-Ernte und nicht überschüssigen Sämlingen! Wozu hat man schließlich Freundinnen und Freunde? So lade ich immer gern zum Spätfrühlingskaffeetrinken ein unter dem Vorwand, die wundervoll blühenden späten Tulpen, Vergissmeinnicht, farbrauschenden Polsterphlox und duftenden Polsternelken etc. gemeinsam zu bewundern, zu spekulieren, welche Rose als erstes aufbühen wird und auf der Lauer zu liegen, ob sich die Blaue Hornbiene blicken lässt. Alle, die mich besuchen, tappen bereitwillig in die Falle, denn beim Auseinandergehen juble ich ihnen wortreich ein paar Pflanzen als Souvenir unter. So fünf, sechs Kaffeeklatsche sind allerdings dafür nötig.
Text: Andreas Barlage
Fotos: Andreas Barlage und Staudengärtnerei Gaißmayer