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Ein Geschenk des Himmels
Ein Beitrag von Christian SeiffertDie Farbe Blau gehört in der Natur zu den seltenen Kostbarkeiten. Um so überraschender ist es, dass wir in diesem Sommer damit so reichlich verwöhnt werden. Die Straßenränder sind voll davon, selbst Pflanzen, die von den übereifrigen Straßenrandpflegern abgemäht worden waren, blühen kurz über dem Boden: Die Wegwarten, sie blühen nicht nur in Oberbayern, sondern auch in der hitze- und trockenheitsgeplagten Niederlausitz. Was für ein im wahrsten Sinne des Wortes himmlisches Blau bietet sich da dem Betrachter! Er muss freilich seine Spaziergänge und Naturbeobachtungen am Vormittag erledigen, denn mittags bei höchstem Sonnenstand schließen sich alle Blüten und was noch eine Stunde zuvor wirklich aufregend aussah, ist nun ein nichtssagendes hellgrünes Gestrüpp.
Vor einem Jahr erzählte Wolfram Franke begeistert von seinem im Gemüsegarten blühenden Radicchio. Die gleiche Blüte, nur etwas ins Violette tendierend. Die Sache ist die: Radicchio ist vor langer Zeit aus der Wegwarte entstanden. Botanisch sind sie noch immer ein und dieselbe Art. Sie heißen beide Cichorium intybus. Und sie sind nicht die einzigen. Auch der Zuckerhut und der Chicorée sind Abkömmlinge der Wegwarte. Nicht zur selben Art, aber zur selben Gattung gehört die Endivie, botanisch Cichorium endivia.
Wenn die durch Mutation und Auslese entstandenen Kulturpflanzen genießbar und wohlschmeckend sind, warum dann nicht die Ur-Mutterpflanze? Kenner verwenden die jungen Blätter als Salat, manchmal zusammen mit jungem Löwenzahn. Das ergibt eine aufbauende Frühjahrskur. Die Heilkräfte der Wegwarte sind unumstritten und seit Menschengedenken bekannt. Geerntet werden im Juli die blühenden Pflanzen und im Herbst die Wurzeln. Tees daraus kräftigen den Organismus, sind gut gegen Appetitlosigkeit und eine Wohltat für Leber und Galle. Hieronymus Bock verwandte sie schon 1577 auch bei Beschwerden der Milz und Schwäche des Herzens.
Zichorien wurden im 19. Jahrhundert vor allem in Belgien in großen Mengen angebaut. Man stellte aus den Wurzeln Kaffee-Ersatz her. Nicht immer wurden alle Wurzeln im Herbst verarbeitet. Eingemietete Wurzeln waren es wohl, die zur Entdeckung des Chicorées führten, jene weißen, im Dunkeln entstandenen Austriebe, die jetzt überall das ganze Jahr hindurch zu bekommen sind.
Soweit die Wegwarte mit ihrem himmlischen Blau und ihren in vieler Hinsicht auf- und anregenden Wirkungen.
Text und Fotos: Christian Seiffert