Das Glücksspiel
Text: Christian Seiffert
Foto Paprika im Freiland: Christian Seiffert
Fotos: Staudengärtnerei Gaißmayer
Seit je träumen Bauern und Gärtner vom Idealwetter: Ein Wachswetter mit Sonne, Wärme und gemächlichem Regen des Nachts. Zur Heu- und Getreideernte trockenes Wetter, einen goldenen Herbst und kurzen aber kalten Winter. So weit, so gut. Doch auch in »normalsten« Zeiten war das Idealwetter eine Rarität, weit entfernt von der Realität. Man musste sich mit den Gegebenheiten, die nicht immer wuchsfördernd waren, arrangieren. Doch Acker- und Gartenbau bedeuteten seit ihrer »Erfindung« ein ständiges Ringen, sowohl mit dem Boden als auch mit den groß- und kleinklimatischen Verhältnissen. Allerdings konnte man der Witterung in Grenzen vertrauen. So wurde angebaut, was ging, und was ging, wurde durch Auslese verbessert. So entstanden angepasste Kulturpflanzen, Landsorten.
Berechenbar sind seit einigen Jahren Witterung und Wetter gar nicht mehr. Europa, eigentlich eine Halbinsel Eurasien im Atlantik, zeichnete sich durch eine sehr wechselhafte Witterung aus. Längere Trockenperioden, die auf anderen Kontinenten regelmäßig vorkommen, gab es bei uns kaum. Immer wieder, und das war das Erfreuliche, aber auch Ärgerliche für Gärtner und Bauern, gab es Regenperioden im Wechsel mit trockenen Tagen. Auch die Winter wurden durch Wärmeperioden mehrere Male unterbrochen. Kurz: worauf man sich verlassen konnte, das war der häufige Wechsel.
Was wir jetzt witterungsmäßig erleben, ist eine Folge der allgemeinen Erwärmung, vor allem wohl die der Ozeane. Der Wechsel von Hochs und Tiefs stagniert, ist ausgebremst. Der häufige Witterungswechsel fiel zumindest in diesem Jahr aus. Langen kühlen Regenperioden folgten endlich trockenwarme Phasen, die aber wiederum viel zu lange anhielten. Die Folge sind Ernterückgänge, die ja noch zu verkraften sind, aber auch Ernteausfälle im mediterranen Raum.
In unserem Garten spielten sich Tragödien, aber auch Wunder ab. Noch nie sah der hohe Staudenphlox so üppig aus, wie nach der langen Regenperiode. Doch die darauf folgende Hitzezeit hat die Vorfreude auf eine prächtige Phloxblüte zunichte gemacht. Eisenhüte starben bis zum Boden herab. Die späten Taglilien bekamen nur mit Müh und Not ein paar Blüten, während die frühen Hemerocallis lilioasphodelus noch vom Mairegen zehrten. Die ausdauernde Stockrose Alcea rugosa und die Waldglockenblume (Campanula latifolia) haben sich damit begnügt, fast am Boden zu blühen. Insgesamt sahen die Staudenbereiche trostlos aus. Ich hörte die Frage: Hätten sie denn nicht gießen können? Nun, die Regenwasservorräte wurden für die Kübelpflanzen gebraucht und gingen zur Neige. Und Leitungswasser ist teuer und kostbar. Auch bin ich sicher, dass die Stauden im Frühjahr wieder gesund austreiben. Wenn, ja wenn sich nicht alles wiederholt.
Aber ich wollte auch von Wundern sprechen: Die Buchshecken strotzen vor Kraft, überhaupt alle Gehölze. Die Päonien gingen gesund in den Herbst, die Helleborus, Lenzrosen und Nießwurz sind nicht kleinzukriegen. Zu den Wundern möchte ich auch den Paprika auf dem Freiland rechnen, der, allerdings gegossen, gesunde Früchte trägt. Aber vielleicht ist Paprika überhaupt eine Pflanze der Zukunft. Unter Glas voller Wollläuse, ist er draußen frei von allen Unannehmlichkeiten. Zufällig hat auch der Mangold in den Wetterablauf gepasst. Aber außer Tomaten unterm Dachvorsprung, Paprika und Mangold können wir den Gemüseanbau heuer vergessen. Den Mittelmeer-Gewürz- und Zierkleingehölzen aber sieht man an, dass sie sich bei 36° wie zu Hause fühlen.
Text: Christian Seiffert
Foto Paprika im Freiland: Christian Seiffert
Fotos: Staudengärtnerei Gaißmayer