Blaues Wunder
Ein Beitrag von Angelika TraubDer Winter ist ja nicht gerade eine Zeit, die sich für Berichte aus dem aktiven Gärtnerinnenleben eignet – Grabegabel, Spaten und Kollegen schlummern im Schuppen wohlverstaut dem Frühling entgegen. Deswegen will ich Ihnen heute eine kleine Geschichte erzählen, die hoffentlich Lust macht auf den gar nicht mehr so fernen Frühling. Sie handelt von der weiten Reise einer unverzagten kleinen Pflanze, die trotz ihrer Zartheit die Kälte des Winters nicht fürchtet und uns den Vorfrühling verzaubert:
Es mag gut 100 Jahre her sein, als eine junge Frau sie auf ihrem Neujahrsspaziergang entdeckte. Im winterlich kahlen Siebenbürger Wald in der Nähe von Sibiu, das damals noch Hermannstadt hieß, leuchtete plötzlich etwas strahlend himmelblau. Ein blühendes Leberblümchen! Im Vorfrühling würde der ganze Wald von ihnen erfüllt sein, aber um diese Zeit? Die junge Frau grub es aus, pflanzte es in ihren Garten und ahnte noch nicht, welchen Schatz sie geborgen hatte. Es vermehrte sich prächtig, wurde immer wieder geteilt und tauchte bald an vielen Stellen des Gartens auf. Die Angewohnheit, oft schon zu Weihnachten über und über zu blühen, behielt es zur Freude seiner Besitzerin bei. Viele Jahre vergingen, in denen das kleine Blühwunder allmählich zur Berühmtheit wurde. Immer mehr staunende Besucher kamen aus Nah und Fern, um es mit eigenen Augen sehen.
Aber was bleibt schon für immer? Der Krieg kam. An seinem Ende stand die Vertreibung, die Familie musste fliehen. Ein kleiner Leiterwagen wurde mit dem Allernötigsten bepackt. Die damals zehnjährige Enkelin hatte eine schwere Entscheidung zu treffen: Nur ein einziges Spielzeug durfte sie mitnehmen, für mehr war einfach kein Platz. In letzter Minute entschied sie sich, rannte in den Garten und grub schnell ein kleines Stück der »Großmutterblume« aus, wickelte es notdürftig in alte Lappen und verstaute es, so gut das eben möglich war. Die langen Wochen der Flucht überstand das tapfere Pflänzchen genauso, wie alle späteren Umzüge der Familie. Um keinen Preis hätte man es zurückgelassen.
Das kleine Mädchen ist heute eine alte Frau. Der Kreis wird sich schließen. Nennen wir es Zufall oder lieber Fügung? Gärtnermeister Andreas Händel, in der Fachwelt als »Mister Hepatica« bekannt, also ausgerechnet ein leidenschaftlicher Leberblümchenspezialist, kam des Weges. Himmelblau leuchtete ihm aus einem schattigen Vorgarten eine stattliche Gruppe der lieblichen Hepatica transsilvanica entgegen. Wie konnte das sein, es war noch nicht einmal Weihnachten! Eine so früh blühende Sorte war ihm noch nie untergekommen, natürlich zögerte er keine Sekunde, klingelte hoffnungsvoll an der Pforte und wurde barsch von einer unfreundlichen alten Frau abgewiesen. Wie es ihm schließlich doch noch gelang, die unwirsche Alte dazu zu bewegen, ihm wenigstens ein winziges Teilstück ihres Familienschatzes zu überlassen, ist eine andere Geschichte. Längst jedenfalls vermehrt Andreas Händel die kleine Frühaufsteherin mit der bewegten Geschichte und nannte sie nach dem Fundort »Blumenstadt Erfurt«». Ob der Findling immer noch die früheste aller Sorten in den Sortimenten der Gärtnereien ist, weiß ich nicht zu sagen, denn auch die schöne, ebenfalls transsylvanisches Erbe in sich tragende 'Winterfreude' ist ein mutiges kleines Kerlchen und zeigt sich bei uns oft sehr früh. Ein Ehrenplatz sollte der Erfurterin aber schon wegen ihrer anrührenden Geschichte sicher sein, nicht wahr?
Aber nicht nur diese beiden – alle Hepatica sind überaus liebenswerte Vorfrühlingsboten, unser heimisches heißt zwar botanisch vornehm 'nobilis', tritt aber trotzdem ein wenig bescheidener auf als seine größeren Verwandten aus Draculas Wäldern. An Schönheit jedoch steht es ihnen keineswegs nach. Zwar ist es ein wenig später dran, aber im März lässt es sich überall blicken. Natürlich dürfen wir es der Siebenbürgerin nicht gleichtun und gar seinem Naturstandort entreißen, Leberblümchen stehen bei uns schon lange unter strengem Naturschutz. Aber wir müssen auf seinen zarten Charme ja keineswegs verzichten, in den Gärtnereien finden sich viele Arten und Sorten, die keine Wünsche offen lassen. Wer in seinem Garten Bedingungen bieten kann, die Hepatica zum Gedeihen brauchen, sollte sie unbedingt im ersten Blütenreigen des Jahres mittanzen lassen. Am liebsten mögen die kleinen Frühlingsedelsteine kalk- und humusreiche Lehmböden in halbschattiger, aber frühlingslichter Lage, auch in schwachsauren Lehmböden wie hier im Forsthaus-Garten kommen sie noch ganz gut zurecht (man kann ja auch ein wenig nachhelfen und tüchtig aufkalken, wo sie gepflanzt werden). Staunässe und saure Böden sind ihnen jedoch ein Graus und führen zum sicheren Tod. Ach ja, und haben Sie ein wenig Geduld mit ihnen, denn es dauert ein Weilchen, bis sie sich eingewöhnt haben. Aber dann!
Für heute macht die Gärtnerin Feierabend - bis zum nächsten Mal!
Text und Fotos: Angelika Traub