Auf gute Nachbarschaft

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Die Enge kleiner Gärten kann Herz und Seele bedrücken. Vor allem, wenn sich die Eigner auch noch abschotten, ihre Welt an der Grundstücksgrenze endet. Wehe, wenn sich die Nachbarschaft durch überhängende Zweige bemerkbar macht! Dabei ist der Garten hinter der dichten Hecke vielleicht ein kleines Paradies, an dem man teilhaben könnte. Kostenlos, wenn man sich und die Grenze ein wenig öffnete.

Die Vorteile wären offensichtlich. Die Sicht nach drüben würde den eigenen Garten nicht nur optisch vergrößern. Nein, man würde auch Platz sparen. Muss ich eine Buddleja haben, wenn drüben schon eine gedeiht? Brauche ich unbedingt auch einen Flieder oder eine Zaubernuss, wenn beide auch diesseits Augen und Nasen erfreuen? Ich könnte darauf verzichten. Also erhielte ich mehr Platz für Gehölze, an denen die Nachbarin auch Gefallen finden würde, für die sie aber keinen Platz hat. Statt Wiederholung eine wohltuende Ergänzung! Ähnliches gilt für Stauden. Es ist durchaus möglich, dass die Nachbarin wunderschöne Rittersporne hat, weil die Licht- oder Bodenverhältnisse bei ihr günstiger sind, oder sie einen besonders grünen Daumen hat. Muss ich mich dann damit auch abquälen und einen vergeblichen Kampf gegen Schnecken führen? Oder kann es nicht sein, dass man vor Neid erblasst, wenn man die nachbarlichen Stockrosen erlebt, die diesseits der Grenze nicht richtig gedeihen wollen? Also bitte kein Neid, sondern Freude beim Anblick nachbarlicher Gärtnerkunst. Wie groß wird der eigene Garten, wenn man ihn öffnet!

Willkommene Grenzverletzer

Der Flieder des Nachbarn, dicht an der Grenze, sähe entsetzlich traurig aus, müsste er diesseits der Grenze dem »Hausmeisterschnitt« unterzogen werden. Und damit ein anderes Nachbarschaftsthema: Gehölze und Stauden, die einen realen oder gedachten Zaun einfach ignorieren: Ich freue mich über den Flieder, der auch für uns blüht, schätze die Buddleja an der Grenze nicht nur des Duftes sondern auch der Schmetterlinge wegen. Die Spiräe der Nachbarn blüht üppig, während diesseits weiße Tulpen antworten. An einer feuchten, kaum besonnten Stelle tauchten urplötzlich ein paar Bärlauche auf. Jene der Nachbarin hatten offenbar Samen über die Mauer geworfen. Oder waren es die Ameisen? Jedenfalls haben wir jetzt einen schönen, dichten Bestand an Allium ursinum, der so leicht nichts an Pflanzen zwischen sich duldet. In der Küche ist er unentbehrlich, seine Blüten sind eine Freude. Ein weiterer Grenzgänger aus der Nachbarschaft ist die Goldnessel, Lamiastrum galeobdolon 'Florentinum'. Sie ist eine aparte, aber frech sich ausbreitende Nesselart. Kriecht dicht am Boden mit schön gezeichneten Trieben und Blättern. Wo sie nicht hingehört, muss man sie ausrupfen oder abschneiden.

Dann blühen diesseits Rosa gallica 'Versicolor'. Bezaubernd die karminrot-weiß gestreiften Blüten, beängstigend der Ausbreitungsdrang dieser Rose. Zur gleichen Zeit blüht grenzverletzend ein nachbarlicher Pfeifenstrauch (Philadelphus). Sein köstlicher Duft überlagert für 10 Tage alle anderen Gerüche.

Nun habe auch ich einige Grenzgänger, für die ich keine Garantie übernehmen kann. Erstaunlicher Weise sind die Winterlinge (Eranthis hyemalis) und die Lerchensporne (Corydalis cava) noch nicht in Nachbargärten aufgetaucht, wohl aber die Nieswurz (Helleborus foetidus) und Helleborus-Orientalis-Hybriden, die sich heftig versamenden Lenzrosen. Damit müssen die Nachbarn zurechtkommen, auch mit der Rosa gallica, die Grenzen einfach ignoriert, wie die Vögel und Schmetterlinge.

Christian Seiffert
aus Jamlitz und Eresing Seit 2001 experimentiert Christian Seiffert parallel in zwei geographisch weit auseinanderliegenden Gärten: in Oberbayern und in der Niederlausitz, im Land Brandenburg.
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Text und Fotos: Christian Seiffert